Was haben geistliche Gaben mit einer liebevollen Gemeinde zu tun?

Christian A. Schwarz

Wer mich näher kennt, weiß, dass ich keine Gelegenheit auslasse, Christen das Konzept der geistlichen Gaben zu erklären. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Gaben-Prinzip zu den machtvollsten Instrumenten gehört, die Gott uns für unser Leben als Christen und für den Bau seiner Gemeinde gegeben hat.

Das Geheimnis gabenorientierter Mitarbeiterschaft

Worin liegt das Geheimnis dieses Prinzips? Ich glaube, es liegt ganz schlicht darin, dass es mit der biblischen Erkenntnis ernst macht, dass die Gemeinde der Leib Christi ist. Jeder Christ ist ein bestimmtes Glied an diesem Leib, hat also eine ganz spezifische Aufgabe zu erfüllen. Welches Glied wir sind, hängt von den geistlichen Gaben ab, die Gott uns gegeben hat. Deshalb müssen wir wissen, was unsere Gaben sind.

In einer Umfrage haben wir herausgefunden, dass 80 Prozent der Christen keine Ahnung haben, was ihre geistlichen Gaben sind. Die Bibel lehrt aber unmissverständlich, dass jeder Christ und jede Christin – mindestens – eine geistliche Gabe hat (vgl. 1. Kor. 7,7). Wenn wir sie nicht kennen, liegt es nicht daran, dass er uns keine gegeben hat, sondern daran, dass wir sie noch nicht entdeckt haben. Wenn wir unsere geistlichen Gaben entdecken, wissen wir, wozu Gott uns berufen hat.

Olli, der Ex-Rocker

Um dieses Prinzip zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen meinen Freund Olli vorstellen. Olli ist ein mindestens drei Zentner schwerer, an Armen und im Gesicht tätowierter Ex-Rocker, der vor etlichen Jahren durch eine Christus-Erscheinung in seiner Gefängniszelle zum Glauben kam und seitdem bemüht ist, Menschen am Rande der Gesellschaft etwas von der Liebe Gottes weiterzugeben: Stricher, Junkies, Asoziale. Wenn Olli im Frankfurter Bahnhofsmilieu auftaucht und beginnt, mit den Leuten zu reden und für sie zu beten, dann kann man sicher sein, dass es nicht lange dauern wird, bis im Himmel ein weiterer Freudenhymnus über einen Sünder angestimmt wird, der Buße getan hat!

Olli gehört zu jenen Menschen, die alles, was sich bewegt, auf Jesus ansprechen. Er hat in sehr ausgeprägter Weise die Gabe der Evangelisation. Aber er hat auch andere Gaben: Barmherzigkeit, Dämonenaustreibung, Heilung und – zum Entsetzen mancher – auch die Gabe der Leitung! Jedenfalls kam das heraus, als Olli unseren Gabentest machte. Ich konnte das zunächst selbst nicht glauben, weil ich mir unter einem „Leiter“ nun wirklich etwas anderes als einen Olli vorstellte! Ich fragte ihn also, ob er selber der Meinung sei, dass er die Gabe der Leitung habe.

„Christian, das muss doch mal in dein Spatzenhirn reingehen“, sagte er mir in jener seltsamen Mischung aus Kohlenpott-Deutsch und Olli-Privat-Grammatik, „ein Leiter ist ein Mensch, wo die Leute hinterherwatscheln tun. Und bei mir watscheln ’se immer alle hinterher!“

Ich musste denken: Richtig, das zeichnet einen Leiter aus, dass Menschen ihm folgen. Ich selbst bin Olli schon einige Male hinterhergewatschelt und jedesmal mit großem geistlichen Gewinn. Ein herrlicher Leiter, dessen Gabe offensichtlich besonders im Blick auf Randgruppen ausgeprägt ist!

Sehen Sie, so funktioniert das Gaben-Prinzip und so funktioniert der Leib Christi: Gott beruft sich einen Olli und lässt andere Christen hinter ihm herwatscheln. Ich bin kein Olli und Sie sind es auch nicht. Das ist gut so. Gott hat jedem von uns andere Gaben gegeben und er erwartet von uns nicht, dass wir versuchen, eine seltsame Olli-Kopie zu werden. Er erwartet, dass wir unseren Gaben entsprechend leben.

Wer das Gaben-Prinzip verstanden hat, der weiß: Es gibt keinen Grund, neidisch auf die Gaben anderer zu schielen, denn jeder Christ hat eine andere, unverwechselbare Gabenkombination. Ich habe weder die Gabe der Evangelisation noch die der Leitung, freue mich aber umso mehr über die Menschen, denen Gott diese Gaben gegeben hat. Weil sie sie haben, brauche ich sie nicht zu haben, sondern kann mich auf die Praktizierung meiner eigenen geistlichen Gaben konzentrieren – und, ganz ehrlich gesagt, damit habe ich auch schon mehr als genug zu tun!

Mir hat Gott zum Beispiel die Gabe des Lehrens gegeben. Ich kann es genießen, wochenlang hinter meinem Computer zu sitzen, um zum Beispiel Bücher wie „Die 3 Farben deiner Gaben“ oder „Die 3 Farben der Liebe“ zu entwickeln (und wenn Gott sich entscheiden sollte, mir ein langes Leben zu geben, werden noch viele weitere „3-Farben-Bücher“ folgen). Eine Horrorvision für Menschen – wie zum Beispiel Olli –, die Gott auf ganz anderem Gebiet begabt hat. Für mich gibt es aber nichts Schöneres und ich weiß, dass Gott mich genau an dieser Stelle gebraucht.

Olli und ich haben häufig gemeinsam Seminare geleitet. Sie können sich vorstellen, dass das für alle Teilnehmer ausgesprochen amüsant war, da sie in uns real erleben können, wie wunderbar unterschiedlich begabte Christen zusammenpassen!

Warum gabenorientierte Mitarbeiterschaft zu einer liebevolleren Gemeinde führt

Aber was haben geistliche Gaben mit der Steigerung der Liebesfähigkeit einer Gemeinde zu tun? Sehr viel. Aus vier Gründen entspricht das Gaben-Prinzip in besonderer Weise dem Wesen der Liebe...

1. Weil es den Christen zu großer Freude verhilft.

Manche Christen meinen, dass es einem die Eintrittskarte zum Himmel verschafft, wenn man in seinem Dienst als Christ ständig leidet. Nun gibt es ohne Zweifel Leiden um Christi willen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Christen schlicht und ergreifend deshalb so sehr leiden, weil sie nicht die Aufgabe ausfüllen, die ihren Gaben entspricht. Wer damit beginnt, seinen Gaben gemäß zu leben, der erlebt drei – fast unmittelbar eintretende – Effekte: Erstens macht ihm seine Aufgabe wesentlich mehr Spaß, zweitens ist er in seinem Dienst um einiges effektiver und drittens spürt er, wie Gott ihn wirklich gebraucht, seine Gemeinde zu bauen. Ich habe schon von Christen gehört, in deren Leben dieser dreifache Effekt zu den tiefsten und beglückendsten Erfahrungen wurde, die sie in ihrem Leben gemacht haben.

2. Weil es Menschen nicht als Mittel zum Zweck missbraucht.

Es gehört zu den schmerzendsten Erfahrungen, wenn jemand spürt, dass er nicht um seiner selbst willen geliebt wird, sondern weil man ihn zu einem bestimmten Zweck benutzen möchte. Genau diese Gefahr droht in jeder Gemeinde, in der das gemeindliche Engagement nicht durch das Prinzip der gabenorientierten Mitarbeiterschaft bestimmt ist. Man sucht Mitarbeiter als Mittel zum Zweck, der Institution Kirche zu dienen. Wenn bestimmte Aufgaben zu erfüllen sind, ruft man nach „Freiwilligen“, die diese Lücke ausfüllen (ohne nach ihren geistlichen Gaben zu fragen). Sollte man keinen Freiwilligen finden, so wird durch ein wenig Druck oder durch sehr massive Appelle an das schlechte Gewissen nachgeholfen.

So sollte es in unseren Gemeinden nicht aussehen. Bei der Gestaltung des Gemeindeprogramms sollten wir nicht bei den (angeblich oder wirklich) zu erfüllenden Aufgaben, sondern bei den Gaben ansetzen, die Gott den Mitarbeitern tatsächlich gegeben hat. Es macht nichts, wenn auf diese Weise nicht „alle“ Aufgaben abgedeckt sind. Gemeinden, die sich auf diesen Weg eingelassen haben – und zwar wirklich konsequent –, können berichten, dass sie nach geraumer Zeit sehr viel mehr Aufgaben wahrzunehmen in der Lage sind als zuvor. Nicht unbedingt solche, von denen sie selbst meinten, „das müssen wir doch unbedingt tun“. Aber ganz sicher solche, von denen Gott erwartet, dass sie getan werden!

3. Weil es uns vom Alleskönner-Mythos befreit.

Als ich damit begann, meine eigenen geistlichen Gaben ausfindig zu machen, entdeckte ich zunächst einmal, welche Gaben mir Gott nicht gegeben hat – und diese Liste war beträchtlich lang. Zunächst war ich gar nicht glücklich darüber, dass ich so viele Gaben nicht hatte. Je mehr ich aber darüber nachdachte, desto stärker wurde mir klar: Jede Gabe, von der ich merke, dass ich sie nicht habe, ist ein Grund zum Feiern! Damit zeigt mir Gott, dass ich diese Bereiche nicht zum Schwerpunkt meines Engagements machen soll, wenn ich nicht als völlig frustrierter Mensch enden will.

Als ich einmal gebeten wurde, für eine christliche Zeitschrift einen Artikel über geistliche Gaben zu schreiben, formulierte ich genau diesen Satz: „Jede Gabe, von der ich merke, dass ich sie nicht habe, ist ein Grund zum Feiern!“ Einige Wochen später bekam ich dann die fertige Zeitschrift zugeschickt – und suchte diesen schönen Satz vergeblich. Der Redaktionsleiter hatte ihn vorsorglich abgeändert: „Jede Gabe, von der ich merke, dass ich sie nicht habe, ist kein Grund zur Resignation“, hieß es da plötzlich. Ich meinte aber nicht „kein Grund zur Resignation“, sondern ich wollte sehr bewusst sagen „ein Grund zum Feiern“!

Feiern heißt: Sekt aufmachen (oder doch zumindest, je nach Frömmigkeitsrichtung, eine Flasche Mineralwasser), tanzen, Loblieder singen! Offensichtlich konnte sich der wohlmeinende Redakteur nicht vorstellen, welch eine tiefe und befreiende Erfahrung es sein kann, wenn ein Mensch entdeckt, dass Gott ihm eine bestimmte Gabe nicht gegeben hat – und folglich auch nicht erwartet, dass er sie einsetzt.

Gabenorientierte Mitarbeiterschaft heißt: Du musst nicht alles tun und alles können. Du darfst einseitig sein. Konzentriere dich auf die Ausübung deiner geistlichen Gabe(n) und lasse dir von niemandem ein schlechtes Gewissen machen, wenn du andere Funktionen, zu denen Gott dich gar nicht berufen hat, nicht wahrnimmst!

4. Weil es uns hilft, unsere wahre Identität zu finden.

Wer seine geistlichen Gaben entdeckt und ihnen entsprechend lebt, entdeckt seine Identität als Christ. Du bist in vielen Funktionen ersetzbar, aber nicht in der, dass du du bist. Gemeinden, die mit gabenorientierter Mitarbeiterschaft ernst machen, helfen Menschen, ihre gottgewollte Einzigartigkeit zu entdecken und zu entwickeln. Sie machen ihnen Mut, starke, individuell sehr verschiedene Persönlichkeiten zu werden.

Jeder Mensch – ein Original

Eine der schönsten Definitionen von Liebe, die ich bei meiner Beschäftigung mit dem Thema gefunden habe, stammt von Antoine de Saint-Exupéry. Er schreibt: „Vielleicht besteht die Liebe darin, dass ich dich sanft und liebevoll zu dir selbst zurückführe.“ Ist das nicht wunderbar ausgedrückt? Wenn ich einen Menschen liebe, dann ist es mein Ziel, ihn zu dem werden zu lassen, der er in Gottes Augen schon ist und ihn auf einigen Abschnitten dieses Weges zu begleiten. Liebe versucht nicht, den anderen nach den eigenen Vorstellungen umzumodeln. So, wie er in Gottes Augen ist, ist er gut.

Der Wert meiner Persönlichkeit liegt in der Tatsache, dass ich der bin, der ich nach Gottes Willen sein soll. Und für Sie gilt das Gleiche! Es gibt Menschen, die alles über einen Leisten schlagen wollen. Ihnen wäre es am liebsten, wenn alle Christen gleich wären. Wenn wir dieser Tendenz nachgeben, wird es in unseren Gemeinden bald keine Originale, keine Freude, keine Kreativität mehr geben – und keine Menschen, die einem Olli hinterherwatscheln!

Aus: Die 3 Farben der Liebe, Seiten 134-137.

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