Der große Participation Shift –
ein bisher unbeachtetes weltweites Phänomen

Christian A. Schwarz

In den letzten acht Jahren hat es weltweit eine erdrutschartige Veränderung in der Gemeindeentwicklung gegeben, deren Auswirkungen fast jeder spüren kann, die aber in der Diskussion kaum eine Rolle spielt. Dieser Artikel handelt von dem genannten Erdrutsch. Er will ihn anhand von bislang unbekannten empirischen Daten beschreiben, anhand von theologischen Kriterien interpretieren und anhand von praktischen Schlussfolgerungen dabei helfen, konstruktive Konsequenzen aus der neu entstandenen Situation zu ziehen.

Seit rund acht Jahren nehme ich ein wachsendes Unbehagen in christlichen Gemeinden wahr – und zwar völlig unabhängig davon, über welchen Kontinent oder welche Denomination wir reden. Das, was in der Gemeindeentwicklung bisher zu funktionieren schien, scheint zunehmend komplizierter zu werden. Man strengt sich an wie früher, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, aber die zahlenmäßigen Auswirkungen der mit viel Einsatz durchgeführten Initiativen scheinen deutlich geringer geworden zu sein. Gemeinden, die bis vor acht Jahren leicht schrumpften, schrumpfen jetzt stärker. Gemeinden, die bis vor acht Jahren stagnierten, erleben nun eine Abnahme des Gottesdienstbesuches. Und Gemeinden, die bis vor acht Jahren wuchsen, wachsen jetzt weniger schnell.

Es ist verständlich, wenn bei manchen der Gedanke aufkommt: Ist dies womöglich der Anfang vom Ende des Christentums?

Unterschiedliche Interpretationen

Diese Erfahrungen – wir werden sie uns gleich im Lichte neuer empirischer Daten sehr viel differenzierter anschauen – können in unterschiedlicher Weise gedeutet werden:

• "Die Menschen werden immer unchristlicher, und wir stehen dieser Entwicklung relativ machtlos gegenüber." (Schicksals-Hypothese)

• "Bei uns selbst scheint der Wurm drin zu sein. Vielleicht habe ich als Leiter versagt?" (Selbstanklage)

• "Möglicherweise stimmt ja die Aussage, dass die gemeindliche Qualität der beste Weg zu zahlenmäßigem Wachstum ist, heute nicht mehr." (Gemeindewachstums-Skepsis)

Was auch immer die Interpretation sein mag, in vielen Fällen führt die wachsende Verunsicherung zu einer Verringerung des Engagements für die Gemeindeentwicklung, auf jeden Fall aber zu gedrosselter Leidenschaft. Auf diese Weise droht ein Teufelskreis zu entstehen, der am Ende tatsächlich in einer geringeren Qualität der Gemeinde mündet. Weil man glaubt, dass "irgendwie alles nicht mehr so richtig funktioniert" (das Unpräzise in diesem Satz ist an dieser Stelle ganz bewusst gewählt), reduziert man sein Engagement auch in Bereichen, die – empirisch und theologisch nachweislich – Grundlage der gemeindlichen Gesundheit und damit des Wachstums sind. Damit schließt sich der Teufelskreis. Die self-fulfilling prophecy hat sich erfüllt.

Was ist ein Participation Shift?

Was von den meisten Beobachtern und Autoren übersehen wird: In den letzten acht bis zehn Jahren hat es weltweit eine gigantische Veränderung im Beteiligungsverhalten von Menschen gegeben. Dieser "Participation Shift", wie ich ihn fortan nennen möchte, steht in unmittelbarer Verbindung mit kontextuellen Faktoren wie Digitalisierung, Globalisierung und neuen Kommunikationstechnologien. Menschen treffen Entscheidungen anders als noch vor wenigen Jahren. Man hat sich daran gewöhnt, auch bei Alltagsentscheidungen, die bisher von eingespielten Routinen geprägt waren, die unterschiedlichsten Optionen zu vergleichen und sich das momentan Passendste auszusuchen. Was einem nicht unmittelbar einleuchtet oder anspricht, wird "weggeklickt" – buchstäblich oder auch metaphorisch. Je jünger ein Mensch ist, desto stärker ist nicht nur sein Denken, sondern auch seine Gefühlswelt von diesen Mustern geprägt. Unser Gehirn hat begonnen, sich an den neuen Prinzipien zu orientieren. Wir nehmen die Realität um uns herum anders wahr. Ohne dass wir uns jemals bewusst dafür entschieden hätten, sehen wir auch die Realität "Gemeinde" mit anderen Augen.

Abgesehen von diesen – sich ausschließlich auf die letzten Jahre beziehenden – Beobachtungen gibt es natürlich auch das Phänomen, dass Menschen, die einmal engagierte Christen waren, sich entweder in die innere Emigration oder auch ganz aus der Gemeinde zurückziehen oder sich sogar vollständig vom Glauben und vom Christentum abwenden. Diese Tendenzen hat es seit neutestamentlichen Zeiten gegeben, und sie lassen sich auch heute studieren. Das ist es aber nicht, worum es in diesem Artikel geht. Hier ist nicht davon die Rede, was Menschen dazu bringt, dass sie "vom Glauben abfallen", sondern es ist von einem veränderten Beteiligungsverhalten derer die Rede, die engagierte Christen sind und auch bleiben wollen, die sich mit den Zielen ihrer Kirche identifizieren und die sehr wohl bereit sind, ihren Beitrag zu leisen, dass das Christentum eine gesellschaftsverändernde Kraft bleibt bzw. wird.

Konsequenzen des Participation Shifts

Wie äußert sich die Veränderung des Beteiligungsverhaltens konkret? Menschen, die vor acht Jahren statistisch gesehen vielleicht fünf mal pro Monat einen Gottesdienst besuchten (alle vier "normalen" Gottesdienste und einen Sondergottesdienst, also die "Super-Engagierten"), besuchen jetzt vielleicht dreimal pro Monat den Gottesdienst. Diejenigen, die dreimal pro Monat kamen, kommen jetzt vielleicht 1,5 mal. In ihrer Haltung gegenüber der Gemeinde hat sich nichts verändert. Sie haben keinen Konflikt mit dem Pastor. Sie haben keine Schwierigkeiten mit theologischen Fragen. Sie verehren Gott, lieben Jesus und mögen ihre Gemeinde. Sie sind bereit, in die Zukunft zu investieren. Ihr Beteiligungsverhalten ist schlicht ein anderes geworden.

Dieses veränderte Beteiligungsverhalten zeigt sich – in der Gemeindestatistik, in der die wöchentlichen Gottesdienstbesucherzahlen aufaddiert werden – in bis zu 40 Prozent "weniger Gottesdienstbesuch", eine Tatsache, die in vielen Fällen durch Wachstum in anderen Bereichen wettgemacht wird, so dass die tatsächlichen Nettozahlen möglicherweise nicht ganz so dramatisch ausfallen. Die Gemeinde erreicht vielleicht gar nicht einmal weniger Menschen durch ihre Gottesdienste als zuvor, aber die Besuchsfrequenz der gottesdienstlich Erreichten hat sich verringert. Statistisch wird das als Schrumpfung registriert. Statt durchschnittlich 110 Menschen im Gottesdienst vor vier Jahren sind es jetzt nur noch 80. Wenn das nicht Schrumpfung ist, was dann? Real erreicht die Gemeinde aber genau die gleiche Anzahl von Menschen – möglicherweise sogar noch mehr – als vor vier Jahren. Deren Beteiligungsverhalten ist allerdings ein anderes geworden. Der Pastor oder die Pastorin nimmt jeden Sonntag deutlich wahr, dass er oder sie vor eine kleinere (bzw. langsamer wachsende oder schneller schrumpfende) Gruppe tritt als noch vor vier Jahren, und ist frustriert. Allerdings kann man die eigene Frustration nicht so richtig einordnen. Man arbeitet doch anhand der Prinzipien der Gemeindeentwicklung. Warum dann dieser Rückgang?

Mein Punkt ist schlicht der, dass sich der Teil, der sich als "40 Prozent Reduktion" darstellt, weder etwas mit Entchristlichung noch mit eigenem Versagen noch mit Fehlern in der Beschreibung der Prinzipien der Gemeindeentwicklung zu tun hat. Es ist einzig und allein das Ergebnis eines veränderten Beteiligungsverhaltens. Diesen Unterschied zu verstehen ist wesentlich. Sonst stehen wir in der Gefahr, aus unseren Beobachtungen irreführende Konsequenzen zu ziehen – sogar solche Konsequenzen, die das Problem, das wir abwenden wollen, geradezu verursachen.

Bisher keine belastbare Forschung zum Thema

Meines Wissens gab es in der Vergangenheit keine belastbaren Zahlen zu diesem Phänomen, so dass sich in vielen Fällen unreflektierte Erfahrungswerte, ungute Gefühle und unproduktive Konsequenzen zu einem wenig konstruktiven Gesamtgemenge mischten. Die Auswirkungen lassen sich vielleicht so beschreiben: Während man mit einem Fuß auf dem Gaspedal steht, scheint der andere unwillkürlich auf die Bremse zu treten. Vielleicht nimmt man ja wahr, dass es in der eigenen Arbeit durchaus voran geht – aber doch merkwürdig ruckelig, inkonsequent und weit weniger erfolgreich, als es noch bis vor wenigen Jahren der Fall war.

Für uns war die Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen ein Grund, diese Frage aufgrund des Datenmaterials, das uns zur Verfügung steht, sehr gründlich zu untersuchen. Immerhin beruhen unsere Daten auf Profilen von rund 70.000 Gemeinden in allen Teilen der Welt (wobei in jedem einzelnen Fall rund 30 Mitglieder einen umfangreichen Fragebogen ausgefüllt haben), und wir konnten viele der Gemeinden über fast zwanzig Jahre hinweg durch eine Vielzahl von Wiederholungsprofilen recht genau beobachten und auf diese Weise Langzeitentwicklungen verfolgen.

Seit einigen Tag habe ich nun die Ergebnisse dieser Untersuchung vor mir liegen. Sie sind überraschend, augenöffnend und lassen sich durchaus als spektakulär bezeichnen.

Die Kernaussage der Forschung ist in der oben stehenden Abbildung zusammengefasst. Ich bitte um Verständnis, dass ihre Botschaft nicht unmittelbar in die Augen springt, aber wenn wir uns ein wenig in sie vertiefen, werden wir viel lernen. Wir haben hier Gemeinden, die wir vor 2008 untersucht haben (die rote Linie), mit solchen verglichen, die wir nach 2012 untersucht haben (die blaue Linie). In beiden Fällen haben wir das prozentuale Wachstum des Gottesdienstbesuches pro Jahr (y-Achse) mit der vom NCD-Gemeindeprofil gemessenen durchschnittlichen Qualität in Beziehung gesetzt (x-Achse). Diese Gegenüberstellung ist, sowohl in der Gesamtaussage als auch im Detail, äußerst aussagekräftig. Die wichtigsten Beobachtungen habe ich in den folgenden sechs Punkten zusammengefasst.

1. Unsere Untersuchung darf nicht mit den bekannten Statistiken über zunehmende Entkirchlichung verwechselt werden.

In der Grafik ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass die blaue Kurve (die das Wachstumsverhalten von Gemeinden nach 2012 beschreibt) niedriger liegt als die rote Kurve (mit vor 2008 untersuchten Gemeinden). Solche Statistiken scheinen uns irgendwie bekannt vorzukommen, zumal in Deutschland und im Bereich der Landeskirchen. Seit den 1960er Jahren werden jedes Jahr EKD-Statistiken veröffentlicht, die fast schon routinemäßig einen Rückgang der Mitgliederzahlen und auch des Gottesdienstbesuches anzeigen. Wir erwarten gar nichts anderes. Dies ist ein Phänomen, das eine Fülle von Ursachen hat – sowohl kontextuelle als auch hausgemachte –, die zwar wichtig sind, insbesondere die hausgemachten, aber nicht Gegenstand dieses Artikels.

Die im Diagramm dargestellten Zahlen dürfen keinesfalls mit diesen Statistiken verwechselt werden. In den EKD-Statistiken wird allein der Gottesdienstbesuch gezählt, ohne auch nur den geringsten Bezug zur (höchst unterschiedlichen) Qualität der jeweiligen Gemeinden herzustellen, die sich dann in individuell extrem unterschiedlichen Gottesdienstbesucherzahlen ausdrückt (Qualität wurde in den EKD-Statistiken der letzten 50 Jahren nie gemessen). Dies war einer der Gründe, warum wir vor gut zwanzig Jahren immensen Forschungsaufwand betrieben haben, um das NCD-Gemeindeprofil zu entwickeln. Solange wir Qualität nicht messen können, haben wir keine Möglichkeit, die Faktoren kennenzulernen, auf die wir uns in unserer Arbeit konzentrieren sollten. Wir schauen dann primär, wenn nicht ausschließlich, auf kontextuelle Faktoren, die wir definitionsgemäß wenig bis gar nicht beeinflussen können. Wenn wir dann Projektionen in die Zukunft machen, gehen wir von Gemeinde aus, "wie sie nun einmal ist", aber nicht von qualitativ gewandelten Gemeinden, die gänzlich andere Auswirkungen auf den sie umgehenden Kontext haben. Wie das Kaninchen in der Begegnung mit der Schlange starren wir dann gebannt auf den Kontext – und übersehen völlig unsere Möglichkeiten als Kaninchen.

Nach dieser Logik wird der beklagte Mitgliederschwund weitgehend als "Schicksal" aufgefasst. Ich gehe wohl nicht völlig fehl in der Annahme, dass dies mittlerweile das weitgehend unhinterfragte Axiom in unzähligen kirchlichen Gremien ist. Es ist ein empirisch und theologisch komplett falsches Axiom. Wachstum und Schrumpfung der Gemeinde ist – empirisch nachweisbar – ganz sicher kein Schicksal. Als Schicksal (bzw. als etwas, was wir zu akzeptieren haben) können wir unseren jeweiligen Kontext betrachten, aber die gemeindliche Qualität ist gerade das, was wir aktiv gestalten können und auch sollen. Erfahrungen von Zehntausenden Gemeinden mitten in schrumpfenden Denominationen zeigen, dass der Schrumpfungsprozess sehr wohl umkehrbar ist. Die Beweiskraft der Zahlen ist geradezu erdrückend. Man muss schon viel Verdrängungskraft aufwenden, um in einem Weltbild der selektiven Wahrnehmung diese Kraft der Evidenz zu unterdrücken.

2. Die Untersuchung bestätigt, dass Arbeit an der gemeindlichen Qualität der sinnvollste Beitrag zu nachhaltiger Steigerung des Gottesdienstbesuches ist.

Die zentrale Botschaft des Diagramms ist eine Bestätigung unserer ursprünglichen internationalen Studie vor gut zwanzig Jahren: Die messbare Gesundheit der Gemeinde (was wir intern als "Qualitätsindex" bezeichnen) steht in positiver Korrelation zum Gottesdienstbesuch. In der Interpretation dieser Ergebnisse heißt das: Das Sinnvollste, was wir zum zahlenmäßigen Wachstum der Gemeinde beitragen können, ist eine an den sechs Wachstumskräften orientierte Arbeit an der gemeindlichen Qualität, d.h. an den acht Qualitätsmerkmalen im Allgemeinen und am jeweiligen Minimumfaktor im Besonderen. Dies galt vor zwanzig Jahren, und es gilt auch heute in unveränderter Weise.

Ob wir uns die Kurve der vor 2008 untersuchten Gemeinden (rot) oder die der nach 2012 untersuchten Gemeinden (blau) anschauen, in beiden Fällen lässt sich auf den ersten Blick erkennen, dass mit wachsender Qualität im Durchschnitt auch der Gottesdienstbesuch steigt. Der Gottesdienstbesuch von Gemeinden, die heute einen Qualitätsindex von 20 oder weniger haben, schrumpft im Durchschnitt um 4 Prozent pro Jahr, während der von Gemeinden, die einen Qualitätsindex von 80 oder mehr haben, jährlich um 18.6 Prozent steigt, wohlgemerkt bei vergleichbarem Kontext. Beides sind natürlich Extremwerte. Viel häufiger sind Gemeinden im mittleren Qualitätsbereich (Qualitätsindex von 36–65). Und auch hier zeigt sich sehr deutlich die positive Auswirkung gemeindlicher Qualität auf das zahlenmäßige Wachstum.

Unsere Forschungsergebnisse zum Participation Shift würden gründlich missverstanden, wenn wir sie im Sinne einer Relativierung der ursprünglichen Aussage ("Steigerung der Qualität trägt zur Steigerung des Gottesdienstbesuchs bei") auffassten. Wie wir später noch sehen werden, ist es vielmehr so, dass die ursprüngliche Aussage heute, unter den veränderten kontextuellen Bedingungen einer zunehmend globalisierten und digitalisierten Welt, sogar in sehr viel radikalerer Weise gelten.

3. In den letzten acht Jahren hat es weltweit eine starke Veränderung im Beteiligungsverhalten gegeben.

Die Untersuchung zeigt allerdings auch, dass das eingangs beschriebene Gefühl – Menschen besuchen heute nicht mehr so selbstverständlich den Gottesdienst wie noch vor wenigen Jahren – tatsächlich zutrifft. Auch wenn nach wie vor Qualität und Quantität der Gemeinde in Korrelation zueinander stehen, sind doch heute die quantitativen Auswirkungen der Arbeit an der gemeindlichen Qualität (jedenfalls im Sinne von Gottesdienstbesuch) geringer als noch vor etwa zehn Jahren. Dies ist wohlgemerkt ein weltweites Phänomen, das völlig unabhängig von anderen kontextuellen Faktoren gilt, die ebenfalls Auswirkungen auf das Gemeindewachstum haben (z.B. Bildungsstand, soziale Sicherheit, gesellschaftliches Klima, etc.). Es sind Auswirkungen des eingangs beschriebenen Participation Shift, der seinerseits mit zunehmender Digitalisierung, Globalisierung und neuen Kommunikationstechnologien in Verbindung steht. Diese Faktoren machen Menschen nicht "unchristlicher", sondern führen sie dazu, ihr Bedürfnis nach Identität und Gemeinschaft anders auszudrücken als noch vor wenigen Jahren. Man fühlt sich dem Christentum und der Gemeinde sehr wohl verbunden, nimmt auch an etlichen Veranstaltungen mit großer Freude teil – aber die Quantität dieser Beteiligung ist deutlich geringer als noch vor einigen Jahren.

Man muss durchaus kein Prophet sein, um zu sagen, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren nicht nur fortsetzen, sondern beschleunigen und in vielen Bereichen sogar exponentiell beschleunigen wird. Gleichwohl ist dies – als kontextueller Faktor – nichts, was an sich bedrohlich wäre. Ebenso, wie es dem Christentum in vergangenen Generationen immer wieder gelungen ist, sich auf wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse effektiv einzustellen, ist dies auch die Verantwortung für unsere Generation. In der natürlichen Gemeindeentwicklung bezeichnen wir dies als "Energieumwandlung". Allerdings hat die heute notwendige Veränderung sehr viel weitreichendere Auswirkungen auf unser Bild von Gemeinde, als es in der Vergangenheit der Fall war. Die Notwendigkeit, den Bereich unserer "Wohlfühlzone" zu verlassen, ist stärker als je zuvor.

4. Bei geringer oder mittlerer gemeindlicher Qualität schlägt der Participation Shift dramatisch durch.

Auf dieser Grundlage ist es nun sinnvoll, dass wir uns detaillierter der "blauen Kurve" zuwenden, die das Wachstumsverhalten der nach 2012 untersuchten Gemeinden darstellt. Dabei fällt auf, dass im unteren und mittleren Qualitätsbereich (also bis hin zum Qualitätsindex 60), der Participation Shift sehr stark durchschlägt. Wenn wir in diesem Qualitätsbereich Gemeinden, die nach 2012 untersucht wurden, mit denen vergleichen, die vor 2008 untersucht wurden, dann stellen wir fest, dass das Wachstum um etwa 2% pro Jahr zurückgegangen ist. Übersetzt in Gottesdienstbesucherzahlen heißt dies, dass eine Gemeinde mit 100 Besuchern, die vor 2008 um vier Prozent pro Jahr gewachsen ist (also vier Personen pro Jahr), jetzt um 2 Prozent pro Jahr wächst (also zwei Personen pro Jahr). Analoges gilt natürlich auch im Blick auf schrumpfende Gemeinden. Da sich diese Dynamik jedes Jahr wiederholt, addieren sich die Ergebnisse am Ende ganz erheblich im Sinne eines "Zins-und-Zinseszins-Effekts". Die unschuldige Ziffer "2 Prozent" kann sich so innerhalb relativ kurzer Zeit zu einem gewaltigen Problem auswachsen.

Diese Zahlen setzen natürlich gleichbleibende Qualität der Gemeinden vor 2008 mit denen nach 2012 voraus. Sollte die Qualität der Gemeinde zwischenzeitlich gesunken sein – auch dafür haben wir zahlreiche Beispiele in unseren Files – sind die Auswirkungen auf das Wachstum natürlich sehr viel dramatischer. Aber dieser Aspekt, um den sich ja unsere gesamte Arbeit einschließlich unserer Veröffentlichungen drehen, war nicht Gegenstand unserer jüngsten Untersuchung. Jedenfalls können wir unter den von uns untersuchten Gemeinden – über andere können wir nicht reden – keine allgemeine Tendenz feststellen, die darauf hindeutete, dass die gemeindliche Qualität insgesamt zurückginge (was nicht ausschließt, dass eine solche Qualitätsschrumpfung in der weltweiten Christenheit gleichwohl stattfinden mag; wir wissen es schlicht nicht, und jeder, der vorgibt, es zu wissen, übernimmt sich). In den von uns untersuchten Gemeinden jedenfalls, die per Definition mit den Ressourcen der natürlichen Gemeindeentwicklung arbeiten – wenn auch in extrem unterschiedlicher Intensität –, lässt sich aufs Ganze gesehen eine deutliche Steigerung der gemeindlichen Qualität feststellen.

Denjenigen Lesern, die mit der natürlichen Gemeindeentwicklung nicht vertraut sind, sollte bei diesen Beobachtungen klar sein, dass im NCD-Paradigma die drei Begriffe "Gesundheit", "Qualität" und "Prinzipien der natürlichen Gemeindeentwicklung anwenden" als Synonyme verwendet werden. Auch wenn diese Gleichsetzung auf den ersten Blick verwirrend erscheinen mag ("Werden hier nicht Ursachen mit den Wirkungen in eins gesetzt?"), macht sie bei detaillierter Betrachtung sehr viel Sinn. Das bedeutet, dass Gemeinden mit niedriger Qualität (diejenigen im linken Spektrum des Diagramms) nicht nur eine schwache Gesundheit haben, sondern auch die "Prinzipien der natürlichen Gemeindeentwicklung" nicht oder doch nur sehr halbherzig anwenden. Die NCD-Prinzipien sind nichts anderes als Beschreibungen von qualitativen Faktoren, die in universell nachweisbarer Korrelation zu zahlenmäßigem Wachstum stehen.

Es ist also keineswegs so, dass in dem unteren Qualitätsbereich die NCD-Prinzipien nicht gelten würden (diese Gemeinden erzielen ja nun, bei gleicher Qualität, weniger Quantität), sondern im Gegenteil: Wir sehen – sehr viel deutlicher noch als in den vor 2008 untersuchten Gemeinden –, wohin eine Missachtung der Gemeindeentwicklung-Prinzipien führt. Da zu erwarten ist, dass die mit dem Stichwort "Participation Shift" bezeichneten Trends sich in Zukunft fortsetzen und beschleunigen werden, ist es nicht übertrieben, daraus einen schleichenden Sterbeprozess christlicher Gemeinde abzuleiten, wobei wir das Wort "schleichend" vermutlich schon recht bald aus diesem Satz streichen können. Kirchliche Prognostiker, die zu einer solchen Einschätzung kommen, haben durchaus die Zahlen auf ihrer Seite. Ohne Änderung der gemeindlichen Qualität scheint das Sterben von Kirche mittelfristig vorprogrammiert. Ist dies wirklich eine schlechte Nachricht, wo doch die hoffnungsvolle Alternative so offensichtlich ist? Mir scheint es vielmehr ein Weckruf zu sein, der – für den, der Augen hat zu sehen, und Ohren, zu hören – dazu führen könnte, die notwendigen Veränderungsprozesse einzuleiten. Unzählige Gemeinden haben genau das getan – und erleben die entsprechenden Ergebnisse.

Was nämlich bei den über die Medien bekannten Zukunftsprognosen nicht berücksichtig wird – ich würde sogar so weit gehen zu sagen: in vielen Fällen ganz bewusst ausgeblendet wird –, ist die Tatsache, dass sich der Schrumpfungstrend, bei gleichen kontextuellen Bedingungen, sehr wohl ändern lässt. Dies zeigt ein Blick auf die Gemeinden mit hoher Qualität in unserem Diagramm, mit anderen Worten: Gemeinden, die die Prinzipien der natürlichen Gemeindeentwicklung überdurchschnittlich konsequent anwenden. Und es gibt sie in den unterschiedlichsten Denominationen, durchaus auch in solchen, die sich – als Ganze – seit Jahrzehnten in einem zahlenmäßigen Abwärtstrend befinden (wie Anglikaner, Lutheraner, Reformierte, etc.). Deren Erfahrungen sind – empirisch nachweisbar – nicht an eine bestimmte "Frömmigkeitsrichtung" gebunden. Wir reden an dieser Stelle nicht über bloße Ideen oder Wunschvorstellungen, sondern über empirische Realität. Die Mehrheit der Gemeinden, die heute eine hohe oder sehr hohe Qualität haben, hatte vor einigen Jahren noch eine durchschnittliche oder sogar niedrige Qualität. Qualitätssteigerung ist nicht nur möglich, sondern der Normalfall eines NCD-Prozesses, der allerdings in jedem Fall mit Schmerzen und ganz erheblichen Opfern verbunden ist.

Ich möchte also ganz gewiss nicht die die Botschaft verbreiten, dass es einfach sei, eine Veränderung der Situation herbeizuführen. Aber die Verwaltung des Sterbeprozesses einer Denomination ist – wie ich aus zahlreichen Prozessen weiß – auch nicht einfach. Sie ist sogar extrem schmerzlich. Es geht also nicht um "einfach" oder "schwierig", sondern es geht in beiden Fällen um einen schwierigen Prozess. Der Unterschied besteht im Ergebnis des schwierigen Prozesses: Weitgehende Verwaltung des Todes (oder doch zumindest: sich Arrangieren mit der unvermeidlichen Schrumpfung oder sogar Rechtfertigung der Notwendigkeit der Schrumpfung) auf der einen Seite, oder Potential für realistisch zu erwartendes Wachstum auf der anderen Seite. Beide Wege sind schwierig – aber Investition in das eine scheint lohnenswerter als Investition in das andere. Es ist unsere Wahl.

5. Bei hoher gemeindlicher Qualität hat der Participation Shift keinen nennenswerten Einfluss.

Schauen Sie sich das Wachstumsverhalten von Gemeinden mit einer Qualität von 65 oder mehr an (die beiden Qualitätsstufen rechts im Diagramm). Die dem Participation Shift zugrunde liegenden Dynamiken, die als kontextuelle Faktoren auch für diese Gemeinden gelten, haben in diesen Fällen so gut wie keinen Einfluss auf den Gottesdienstbesuch. Trotz dramatisch gewandeltem Kontext erreichen Gemeinden auf dieser Qualitätsstufe genau so viele Menschen, wie es für Gemeinden gleicher Qualität vor 2008 gegolten hat – also relativ viele und vor allem: jedes Jahr mehr. Und was noch wichtiger ist: Sie "erreichen" diese Menschen nicht nur, sondern sie erleben in der Kommunikation mit ihnen die lebensverändernde Kraft des Reiches Gottes. Hohe "Qualität" ist in unserem Kontext gleichbedeutend mit "nachhaltige Lebensveränderung".

Dies ist tatsächlich eine sensationelle Nachricht, die es durchaus verdient hätte, den Weg auf die Titelseiten kirchlicher und säkularer Magazine zu finden. Das Ergebnis bedeutet nicht weniger, als dass eine konsequente Anwendung der Prinzipien der natürlichen Gemeindeentwicklung eine stärkere Kraft zu entwickeln vermag als die Kraft, die vom derzeitigen gesellschaftlichen Kontext ausgeht. Ist das nicht eine positive Nachricht inmitten der vielen Negativschlagzeilen im Blick auf den angeblich vorprogrammierten Niedergang des Christentums?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Eine Gemeinde muss keineswegs diesen – mit 65 recht hohen – Qualitätsindex erreichen, um zahlenmäßiges Wachstum zu erleben. Auch Gemeinden mit einem durchschnittlichen Qualitätsindex (zwischen 36 und 65) können Wachstum erleben. Allerdings werden sie in Zukunft noch sehr viel stärker mit den Auswirkungen des genannten Participation Shift zu kämpfen haben. Positiv formuliert: Gerade sie stehen vor der wunderbaren Herausforderung, praktische Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen, dass sich nicht nur die Welt um uns herum, sondern auch die Welt "in uns" dramatisch verändert hat. Das ist ja durchaus keine bedrohliche Aussicht, sondern die Grundaufgabe von Gemeinde Jesu Christi zu jeder Zeit.

6. Der Participation Shift verlangt nach einer neuen Form von Christentum.

Dies ist nicht der Ort, im Detail zu beschreiben, wie eine neue Form von Christentum aussehen kann, die dem genannten Participation Shift, aber auch anderen gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung trägt. In unseren NCD-Ressourcen arbeiten wir seit Jahren an dieser Frage und werden die neueren Forschungsergebnisse natürlich bei allen zukünftigen Veröffentlichungen – und bei Neuauflagen der bestehenden – berücksichtigen. Um aber in diesem Artikel nicht bei der reinen Analyse stehen zu bleiben, seien hier fünf Tendenzen genannt, die zumindest andeuten, in welche Richtung die notwendigen Veränderungen zielen.

Veränderung 1: Vollumfänglich Verantwortung für die Qualität der Gemeinde übernehmen

Heute lässt sich in großer Klarheit und Präzision formulieren, welche Aspekte der Gemeindeentwicklung unserer Verantwortung unterliegen (d.h. von uns Menschen zu gestalten sind) und welche Aspekte wir mit gutem Gewissen "an Gott abgeben" dürfen, ja sogar müssen. Gleichwohl ist die Verwechslung dieser beiden Dimensionen nach wie vor atemberaubend, befeuert durch von völlig verwirrenden Paradoxien durchdrungenen Konzepten einiger der größten theologischen Lehrer, ganz besonders im Protestantismus. Viele engagierte Christen bemühen sich mit großer Hingabe um Dinge, die ganz eindeutig nicht zu ihren Aufgaben gehören (Paradebeispiel: Steigerung des Gottesdienstbesuchs) und vernachlässigen gleichzeitig diejenigen Aspekte, die sehr wohl zu ihrer Verantwortung gehören, ja sogar das Wesen von Nachfolge Jesu Christi beschreiben (Paradebeispiel: Kontinuierliche Arbeit an der Gesundheit/Qualität im eigenen Leben und in der Gemeinde). Die Auswirkungen dieser Verwirrung sind wirklich dramatisch.

Erst dort, wo wir vollumfänglich die Verantwortung für unsere eigene geistliche Gesundheit und die Gesundheit der Gemeinde übernehmen, lassen sich nachhaltige Veränderungsprozesse erwarten. Die in der Statistik genannten Gemeinden mit einer Qualität von 65 oder mehr sind Beispiele dafür. Sie sind auch Beispiele dafür, dass Veränderungen von dieser Tragweite – und zwar in jeder Kultur und jeder Denomination – möglich sind. Unabhängig von sich ständig verändernden kontextuellen Faktoren gilt: Wachstum oder Schrumpfen von Gemeinde ist kein Schicksal, sondern zu einem erheblichen Teil eine Entscheidung. Eine Entscheidung freilich, die jedes Gemeindemitglied treffen muss und sich nicht erzwingen lässt. Es ist die Verantwortung von Leiterschaft, für diese Entscheidung zu werben. Dazu gehört, in letzter Deutlichkeit klar zu machen, dass von dieser Entscheidung – und nicht etwa vom "schwieriger werdenden Kontext" – die Zukunft der Kirche abhängt.

Veränderung 2: Gemeinde im Sinne von Beziehungsnetzwerken umdefinieren

In ihrem Wesen ist Gemeinde Jesu Christi immer ein Netzwerk von Beziehungen gewesen, aber im Laufe der Kirchengeschichte hat sich zunehmend ein institutionelles Verständnis von Gemeinde breitgemacht, das von den – nach wie vor vorhandenen und auch wirksamen – Beziehungsnetzwerken ("Oikos-Faktor") weitgehend absah. Heute scheint endgültig die Zeit gekommen zu sein, in der eine radikale Umdefinierung von Gemeinde im Sinne dieser Beziehungsnetzwerke das Gebot der Stunde ist. Unterschiedliche Denominationen werden unterschiedliche Konsequenzen aus dieser Einsicht ziehen, die von größerer Offenheit für die Oikos-Dynamik im Rahmen von Evangelisation bis hin zur bewussten Minimierung oder sogar zum völligen Verzicht auf formal-organisatorische Strukturen reichen kann.

Diese Umorientierung erfordert auch die Notwendigkeit, die Effektivität des Christentums – im Blick auf Durchdringung der Gesellschaft mit den Prinzipien des Reiches Gottes – in anderer Weise zu messen als in Form des Besuchs von christlichen Veranstaltungen wie Gottesdiensten. Die Qualität und Quantität des Beziehungsnetzwerks – im Sinne von geistlicher Kraft, Reichweite und nachweislicher Veränderungsdynamik – sollte zu einem neuen Orientierungspunkt werden. Wir arbeiten auf Hochtouren an einem derartigen analytischen Verfahren.

Veränderung 3: Bereit sein, gemeindliche Dienste an andere Anbieter zu delegieren

Das gewandelte Beteiligungsverhalten hat dazu geführt, dass Menschen nicht mehr erwarten, dass ein einziger "Anbieter" (zum Beispiel ihre eigene Gemeinde) für die unterschiedlichsten Lebensbereiche Lösungen bereitstellt. Ganz im Gegenteil: Weil wir uns zunehmend daran gewöhnen, bei allen möglichen Entscheidungen immer wieder neu die jeweils besten Anbieter auszuwählen, muss vieles, was eine normale Gemeinde anzubieten hat, im Spiegel eines solchen Vergleichs als ausgesprochen amateurhaft erscheinen. Anstatt sich in dem gut gemeinten Bemühen, als Gemeinde mehr und mehr Bedürfnisse von Menschen abzudecken, gründlich zu übernehmen, sollten Gemeinden Orte werden, die Menschen dabei helfen, mit Angeboten in Kontakt zu kommen, die in ihrer jeweiligen Situation am hilfreichsten sind. Diese Angebote können sich durchaus "außerhalb der Gemeinde" befinden. Allerdings verrät diese Begrifflichkeit ("außerhalb") schon wieder die Spuren des formal-institutionellen Verständnisses von Gemeinde. Bei einem konsequent beziehungsorientierten Verständnis werden solche Angebote als Angebote "der Gemeinde" (verstanden als Leib Christi) aufgefasst.

Auf diese Weise ist es z.B. möglich, Menschen auch in solchen geistlichen Stilen zu unterstützen, die nicht von der theologischen Kultur der eigenen Gemeinde abgedeckt werden (z.B. Menschen mit einem sakramentalen Stil in nicht-sakramentalen Gemeinden, Menschen mit einem mystischen Stil in evangelikal ausgerichteten Gemeinden, oder Menschen mit einem sinnlichen Stil in Gemeinden, in denen eine vom asketischer Stil geprägte Kultur vorherrscht). Die Möglichkeiten von Gemeinden, Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu begegnen, werden durch dieses "Outsourcing" nicht geringer, sondern erweitert. Dies ist insbesondere eine Chance für mittelgroße und kleine Gemeinden. Sie sollten sich davor hüten, sich von der beeindruckenden Vielzahl bedürfnisorientierter Angebote, die in Megakirchen zu studieren ist, auf die falsche Fährte locken zu lassen. Einen guten Caffè Macchiato bekomme ich in einem guten Café, in einer guten Gemeinde ist er meist schlechter und sehr viel umständlicher zu bekommen. In einer christlichen Gemeinde werden Menschen zunehmend etwas anderes suchen – und das ist eine ungeheure Chance.

Veränderung 4: Für erweiterte Möglichkeiten der Gottesbegegnung sorgen

Es wäre eine Illusion zu glauben, die notwendigen Veränderungen bezögen sich allein auf organisatorische oder marketingmäßige Aspekte, die auch an Agenturen à la Roland Berger delegiert werden könnten. Was diesen Anbietern fehlt, ist ein Verständnis für das, was wir in der natürlichen Gemeindeentwicklung als "Qualität" bezeichnen, messen und entwickeln: geistliche Faktoren, die mit dem zahlenmäßigen Wachstum von Gemeinde korrelieren. Derartige Agenturen arbeiten an zahlreichen anderen – durchaus nachdankenswerten und sinnvollen – Aspekten des kirchlichen Lebens, aber die kontinuierliche Steigerung gemeindlicher Qualität im Sinne der "acht Qualitätsmerkmale" wird vollkommen ausgeblendet. Deshalb können derartige Initiativen nicht dazu beitragen, den Trend in der Weise umzukehren, wie es in den genannten Gemeinden mit hoher Qualität (die beiden Gruppen rechts im Diagramm) bereits geschehen ist. Wo sind die Beispiele für Gemeinden, die allein durch Marketingberatung den Schrumpfungsprozess in einen nachhaltigen Wachstumsprozess umgekehrt haben? Es gibt sie nicht, und es wird sie auch in Zukunft nicht geben.

Die Art von Qualität, die wir messen und fördern, ist eine zutiefst geistliche Größe, die unser Gottesbild mit einschließt. Dies ist ein Bereich, in der die vorfindliche Christenheit noch weit von dem Schatz entfernt ist, den ihr das Neue Testament – und die Bibel als Ganze – bereitstellt. Und in der Entdeckung dieses geistlichen Kompasses liegt die Lösung der Probleme, mit denen wir uns heute auseinanderzusetzen haben.

Veränderung 5: Sich neu an den Prinzipien des Neuen Testaments orientieren

Reformation in dem hier verstanden Sinne bedeutet nicht Ausverkauf der christlichen Substanz zugunsten einer fragwürdigen Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist. Wenn wir die in unserer Forschung genannten Gemeinden mit hoher und sehr hoher Qualität studieren, werden wir nichts Dergleichen finden. Hier besinnt man sich vielmehr elementar auf das Zentrum der biblischen Substanz und ist auf dieser Grundlage ausgesprochen offen, die institutionellen Formen von Gemeinde sehr "pragmatisch" zu betrachten (der Begriff "pragmatisch" ist an dieser Stelle nur bedingt passend, da ja gerade das, was als "pragmatisch" erscheinen mag, Ergebnis einer bewussten theologischen Entscheidung ist). Die Christen, die diese Gemeinden prägen, lesen die Bibel in der Bereitschaft, darin neue Entdeckungen zu machen – darunter auch solche Entdeckungen, die die eingespielten christlichen Gewohnheiten in Frage stellen.

In lutherischer Sprache ausgedrückt: Es sind Gemeinden, die das "konservative" Prinzip sola scriptura (allein die Schrift) mit dem "progressiven" Prinzip ecclesia reformata semper reformanda (die Kirche der Reformation muss sich immer neu reformieren) zu vereinigen wissen. Wenn wir dies bildlich beschreiben wollen, bedeutet das: Das erste Prinzip verleiht dem Baum tiefe Wurzeln und eine ungeheure Stabilität, die ihn in nicht erwartete Höhe wachsen lässt. Das zweite Prinzip versetzt den Stamm und die Äste in die Lage, sich im Winde kontextueller Faktoren kräftig zu biegen, ohne dabei entwurzelt zu werden. Die Kombination dieser beiden Dimensionen – Stabilität und Flexibilität – wird mit dem Begriff Resilienz bezeichnet. Mit dem Stichwort "Entwicklung zur Resilienz" lässt sich durchaus die Richtung der nötigen Veränderungen auf dem Weg zur Kirche von morgen zusammenfassen – ein gänzlich untheologisch erscheinender Begriff als Ergebnis einer theologischen Entscheidung von allergrößter Tragweite.

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